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Zur Bekämpfung des Determinismus.
Daraus, daß Etwas regelmäßig erfolgt und berechenbar erfolgt, ergiebt sich nicht, daß es nothwendig erfolgt. Daß ein Quantum Kraft sich in jedem bestimmten Falle auf eine einzige Art und Weise bestimmt und benimmt, macht ihn nicht zum „unfreien Willen“. Die „mechanische Nothwendigkeit“ ist kein Thatbestand: wir erst haben sie in das Geschehn hinein interpretirt. Wir haben die Formulirbarkeit des Geschehens ausgedeutet als Folge einer über dem Geschehen waltenden Necessität. Aber daraus, daß ich etwas Bestimmtes thue, folgt keineswegs, daß ich es gezwungen thue. Der Zwang ist in den Dingen gar nicht nachweisbar: die Regel beweist nur, daß ein und dasselbe Geschehn nicht auch ein anderes Geschehn ist. Erst dadurch, daß wir Subjekte „Thäter“ in die Dinge hineingedeutet haben, entsteht der Anschein, daß alles Geschehn die Folge von einem auf Subjekte ausgeübten Zwang ist — ausgeübt von wem? wiederum von einem „Thäter“. Ursache und Wirkung — ein gefährlicher Begriff, solange man ein Etwas denkt, das verursacht und ein Etwas, auf das gewirkt wird.
A) die Nothwendigkeit ist kein Thatbestand, sondern eine Interpretation.
B) Hat man begriffen, daß das „Subjekt“ nichts ist, was wirkt, sondern nur eine Fiktion, so folgt Vielerlei.
Wir haben nur nach dem Vorbilde des Subjektes die Dinglichkeit erfunden und in den Sensationen-Wirrwarr hineininterpretirt. Glauben wir nicht mehr an das wirkende Subjekt, so fällt auch der Glaube an wirkende Dinge, an Wechselwirkung, Ursache und Wirkung zwischen jenen Phänomenen, die wir Dinge nennen.
Es fällt damit natürlich auch die Welt der wirkenden Atome: deren Annahme immer unter der Voraussetzung gemacht ist, daß man Subjekte braucht.
Es fällt endlich auch das „Ding an sich“: weil dies im Grunde die Conception eines „Subjekts an sich“ ist. Aber wir begriffen, daß das Subjekt fingirt ist. Der Gegensatz „Ding an sich“ und „Erscheinung“ ist unhaltbar; damit aber fällt auch der Begriff „Erscheinung“ dahin.
C) Geben wir das wirkende Subjekt auf, so auch das Objekt, auf das gewirkt wird. Die Dauer, die Gleichheit mit sich selbst, das Sein inhärirt weder dem, was Subjekt, noch dem, was Objekt genannt wird: es sind Complexe des Geschehens, in Hinsicht auf andere Complexe scheinbar dauerhaft — also z.B. durch eine Verschiedenheit im tempo des Geschehens (Ruhe-Bewegung, fest-locker: alles Gegensätze, die nicht an sich existiren und mit denen thatsächlich nur Gradverschiedenheiten ausgedrückt werden, die für ein gewisses Maaß von Optik sich als Gegensätze ausnehmen.
Es giebt keine Gegensätze: nur von denen der Logik her haben wir den Begriff des Gegensatzes — und von denen aus fälschlich in die Dinge übertragen.
D) Geben wir den Begriff „Subjekt“ und „Objekt“ auf, dann auch den Begriff „Substanz“ — und folglich auch dessen verschiedene Modificationen z.B. „Materie“ „Geist“ und andere hypothetische Wesen „Ewigkeit und Unveränderlichkeit des Stoffes“ usw. Wir sind die Stofflichkeit los.
Moralisch ausgedrückt: ist die Welt falsch. Aber, insofern die Moral selbst ein Stück dieser Welt ist, so ist die Moral falsch
Der Wille zur Wahrheit ist ein Fest-machen, ein Wahr-Dauerhaft-Machen, ein Aus-dem-Auge-schaffen jenes falschen Charakters, eine Umdeutung desselben ins Seiende.
„Wahrheit“ ist somit nicht etwas, was da wäre und was aufzufinden, zu entdecken wäre, — sondern etwas, das zu schaffen ist und das den Namen für einen Prozeß abgiebt, mehr noch für einen Willen der Überwältigung, der an sich kein Ende hat: Wahrheit hineinlegen, als ein processus in infinitum, ein aktives Bestimmen, nicht ein Bewußtwerden von etwas, <das> „an sich“ fest und bestimmt wäre. Es ist ein Wort für den „Willen zur Macht“
Das Leben ist auf die Voraussetzung eines Glaubens an Dauerndes und Regulär-Wiederkehrendes gegründet; je mächtiger das Leben, um so breiter muß die errathbare, gleichsam seiend gemachte Welt sein. Logisirung, Rationalisirung, Systematisirung als Hülfsmittel des Lebens.
Der Mensch projicirt seinen Trieb zur Wahrheit, sein „Ziel“ in einem gewissen Sinn außer sich als seiende Welt, als metaphysische Welt, als „Ding an sich“, als bereits vorhandene Welt.
Sein Bedürfniß als Schaffender erdichtet bereits die Welt, an der er arbeitet, nimmt sie vorweg: diese Vorwegnahme („dieser Glaube“ an die Wahrheit) ist seine Stütze.
Alles Geschehen, alle Bewegung, alles Werden als ein Feststellen von Grad- und Kraftverhältnissen, als ein Kampf…
Das „Wohl des Individuums“ ist eben so imaginär als das „Wohl der Gattung“: das erstere wird nicht dem letzteren geopfert, Gattung ist, aus der Ferne betrachtet, etwas eben so Flüssiges wie Individuum. „Erhaltung der Gattung“ ist nur eine Folge des Wachsthums der Gattung, d.h. der Überwindung der Gattung auf dem Wege zu einer stärkeren Art
Sobald wir uns Jemanden imaginiren, der verantwortlich ist dafür, daß wir so und so sind usw. (Gott, Natur), ihm also unsere Existenz, unser Glück und Elend als Absicht zulegen, verderben wir uns die Unschuld des Werdens. Wir haben dann Jemanden, der durch uns und mit uns etwas erreichen will.
Daß die anscheinende „Zweckmäßigkeit“ („die aller menschlichen Kunst unendlich überlegene Zweckmäßigkeit“) bloß die Folge jenes in allem Geschehen <sich> abspielenden Willens zur Macht ist
daß das Stärkerwerden Ordnungen mit sich bringt, die einem Zweckmäßigkeits-Entwurfe ähnlich sehen
daß die anscheinenden Zwecke nicht beabsichtigt sind, aber, sobald die Übermacht über eine geringere Macht erreicht ist und letztere als Funktion der größeren arbeitet, eine Ordnung des Rangs, der Organisation den Anschein einer Ordnung von Mittel und Zweck erwecken muß.
Gegen | die | anscheinende „Nothwendigkeit“ |
— | diese nur ein Ausdruck dafür, daß eine Kraft nicht auch etwas Anderes ist. | |
Gegen | die | anscheinende „Zweckmäßigkeit“ |
— | letztere nur ein Ausdruck für eine Ordnung von Machtsphären und deren Zusammenspiel. |
Die logische Bestimmtheit Durchsichtigkeit als Kriterium der Wahrheit („omne illud verum est, quod clare et distincte percipitur“ Descartes): damit ist die mechanische Welthypothese erwünscht und glaublich.
Aber das ist eine grobe Verwechslung: wie simplex sigillum veri. Woher weiß man das, daß die wahre Beschaffenheit der Dinge in diesem Verhältniß zu unserem Intellekt steht? — Wäre es nicht anders? daß die ihm am meisten das Gefühl von Macht und Sicherheit gebende Hypothese am meisten von ihm bevorzugt, geschätzt, und folglich als wahr bezeichnet wird? — Der Intellekt setzt sein freiestes und stärkstes Vermögen und Können als Kriterium des Werthvollsten, folglich Wahren…
„wahr“: | von Seiten des Gefühls aus —: was das Gefühl am Stärksten erregt („Ich“) von Seiten des Denkens aus — : was dem Denken das größte Gefühl von Kraft giebt von Seiten des Tastens, Sehens, Hörens aus: wobei am stärksten Widerstand zu leisten ist |
Also die höchsten Grade in der Leistung erwecken für das Objekt den Glauben an dessen „Wahrheit“ d.h. Wirklichkeit. Das Gefühl der Kraft, des Kampfes, des Widerstand<es> überredet dazu, daß es etwas giebt, dem hier widerstanden wird.