12.
Zum Schluss wollen wir doch unserem klassischen Prosaschreiber die versprochene Sammlung von Stilproben vorlegen; vielleicht würde sie Schopenhauer ganz allgemein betiteln: „Neue Belege für den Lumpen-Jargon der Jetztzeit“; denn das mag David Strauss zum Troste gesagt werden, wenn es ihm ein Trost sein kann, dass jetzt alle Welt so schreibt wie er, zum Theil noch miserabler, und dass unter den Blinden jeder Einäugige König ist. Wahrlich, wir gestehen ihm viel zu, wenn wir ihm Ein Auge zugestehen, dies aber thun wir, weil Strauss nicht so schreibt, wie die verruchtesten aller Deutsch-Verderber, die Hegelianer, und ihr verkrüppelter Nachwuchs. Strauss will wenigstens aus diesem Sumpfe wieder heraus und ist zum Theil wieder heraus, doch noch lange nicht auf festem Lande; man merkt es ihm noch an, dass er einmal in seiner Jugend Hegelisch gestottert hat: damals hat sich etwas in ihm ausgerenkt, irgend ein Muskel hat sich gedehnt; damals ist sein Ohr, wie das Ohr eines unter Trommeln aufgewachsenen Knaben, abgestumpft worden, um nie wieder jene künstlerisch zarten und kräftigen Gesetze des Klanges nachzufühlen, unter deren Herrschaft der an guten Mustern und in strenger Zucht herangebildete Schriftsteller lebt. Damit hat er als Stilist sein bestes Hab und Gut verloren und ist verurtheilt, Zeitlebens auf dem unfruchtbaren und gefährlichen Triebsande des Zeitungsstiles sitzen zu bleiben — wenn er nicht in den Hegelschen Schlamm wieder hinunter will. Trotzdem hat er es für ein Paar Stunden der Gegenwart zur Berühmtheit gebracht, und vielleicht weiss man noch ein Paar spätere Stunden, dass er eine Berühmtheit war; dann aber kommt die Nacht und mit ihr die Vergessenheit: und schon mit diesem Augenblicke, in dem wir seine stilistischen Sünden in’s schwarze Buch schreiben, beginnt die Dämmerung seines Ruhmes. Denn wer sich an der deutschen Sprache versündigt hat, der hat das Mysterium aller unserer Deutschheit entweiht: sie allein hat durch alle die Mischung und den Wechsel von Nationalitäten und Sitten hindurch sich selbst und damit den deutschen Geist wie durch einen metaphysischen Zauber gerettet. Sie allein verbürgt auch diesen Geist für die Zukunft, falls sie nicht selbst unter den ruchlosen Händen der Gegenwart zu Grunde geht. „Aber Di meliora! Fort Pachydermata, fort! Dies ist die deutsche Sprache, in der Menschen sich ausgedrückt, ja, in der grosse Dichter gesungen und grosse Denker geschrieben haben. Zurück mit den Tatzen!“ —
Nehmen wir zum Beispiel gleich einen Satz der ersten Seite des Straussischen Buches: „Schon in dem Machtzuwachse — — — hat der römische Katholicismus eine Aufforderung erkannt, seine ganze geistliche und weltliche Macht in der Hand des für unfehlbar erklärten Papstes diktatorisch zusammenzufassen.“ Unter diesem schlotterichten Gewande sind verschiedene Sätze, die durchaus nicht zusammenpassen und nicht zu gleicher Zeit möglich sind, versteckt; Jemand kann irgendwie eine Aufforderung erkennen, seine Macht zusammenzufassen oder sie in die Hände eines Diktators zu legen, aber er kann sie nicht in der Hand eines Anderen diktatorisch zusammenfassen. Wird dem Katholicismus gesagt, dass er seine Macht diktatorisch zusammenfasst, so ist er selbst mit einem Diktator verglichen: offenbar soll aber hier der unfehlbare Papst mit dem Diktator verglichen werden, und nur durch unklares Denken und Mangel an Sprachgefühl kommt das Adverbium an die unrechte Stelle. Um aber das Ungereimte der anderen Wendung nachzufühlen, so empfehle ich, dieselbe in folgender Simplification sich vorzusagen: der Herr fasst die Zügel in der Hand seines Kutschers zusammen. — (S. 4): „Dem Gegensatze zwischen dem alten Consistorialregiment und den auf eine Synodalverfassung gerichteten Bestrebungen liegt hinter dem hierarchischen Zuge auf der einen, dem demokratischen auf der anderen Seite, doch eine dogmatisch-religiöse Differenz zu Grunde.“ Man kann sich nicht ungeschickter ausdrücken: erstens bekommen wir einen Gegensatz zwischen einem Regiment und gewissen Bestrebungen, diesem Gegensatz liegt sodann eine dogmatisch-religiöse Differenz zu Grunde, und diese zu Grunde liegende Differenz befindet sich hinter einem hierarchischen Zuge auf der einen und einem demokratischen auf der anderen Seite. Räthsel: welches Ding liegt hinter zwei Dingen einem dritten Dinge zu Grunde? — (S. 18): „und die Tage, obwohl von dem Erzähler unmissverstehbar zwischen Abend und Morgen eingerahmt“ u.s.w. Ich beschwöre Sie, das in’s Lateinische zu übersetzen, um zu erkennen, welchen schamlosen Missbrauch Sie mit der Sprache treiben. Tage, die eingerahmt werden! Von einem Erzähler! Unmissverstehbar! Und eingerahmt zwischen etwas! — (S. 19): „Von irrigen und widersprechenden Berichten, von falschen Meinungen und Urtheilen kann in der Bibel keine Rede sein.“ Höchst lüderlich ausgedrückt! Sie verwechseln „in der Bibel“ und „bei der Bibel“: das erstere hätte seine Stelle vor „kann“ haben müssen, das zweite nach „kann“. Ich meine, Sie haben sagen wollen: von irrigen und widersprechenden Berichten, von falschen Meinungen und Urtheilen in der Bibel kann keine Rede sein; warum nicht? Weil sie gerade die Bibel ist — also: „kann bei der Bibel nicht die Rede sein.“ Um nun nicht „in der Bibel“ und „bei der Bibel“ hintereinander folgen zu lassen, haben Sie sich entschlossen, Lumpen-Jargon zu schreiben und die Präpositionen zu verwechseln. Dasselbe Verbrechen begehen Sie auf S. 20: „Compilationen, in die ältere Stücke zusammengearbeitet sind.“ Sie meinen, „in die ältere Stücke hineingearbeitet oder in denen ältere Stücke zusammengearbeitet sind.“ — Auf derselben Seite reden Sie mit studentischer Wendung von einem „Lehrgedicht, das in die unangenehme Lage versetzt wird, zunächst vielfach missdeutet“ (besser: missgedeutet), „dann angefeindet und bestritten zu werden“, S. 24 sogar von „Spitzfindigkeiten, durch die man ihre Härte zu mildern suchte“! Ich bin in der unangenehmen Lage, etwas Hartes, dessen Härte man durch etwas Spitzes mildert, nicht zu kennen; Strauss freilich erzählt (S. 367) sogar von einer „durch Zusammenrütteln gemilderten Schärfe“. — (S. 35): „einem Voltaire dort stand hier ein Samuel Hermann Reimarus durchaus typisch für beide Nationen gegenüber.“ Ein Mann kann immer nur typisch für Eine Nation, aber nicht einem Anderen typisch für beide Nationen gegenüber stehen. Eine schändliche Gewaltthätigkeit, an der Sprache begangen, um einen Satz zu sparen oder zu eskrokiren. — (S. 46): „Nun stand es aber nur wenige Jahre an nach Schleiermachers Tode, dass — —.“ Solchem Sudler-Gesindel macht freilich die Stellung der Worte keine Umstände; dass hier die Worte: „nach Schleiermachers Tode“ falsch stehen, nämlich nach „an“, während sie vor „an“ stehen sollten, ist Ihren Trommelschlag-Ohren gerade so gleichgültig, als nachher „dass“ zu sagen, wo es „bis“ heissen muss. — (S. 13): „auch von allen den verschiedenen Schattirungen, in denen das heutige Christenthum schillert, kann es sich bei uns nur etwa um die äusserste, abgeklärteste handeln, ob wir uns zu ihr noch zu bekennen vermögen.“ Die Frage, worum handelt es sich? kann einmal beantwortet werden: „um das und das“, oder zweitens durch einen Satz mit: „ob wir uns“ u.s.w.; beide Constructionen durcheinander zu werfen, zeigt den lüderlichen Gesellen. Er wollte vielmehr sagen: „kann es sich bei uns etwa nur bei der äussersten darum handeln, ob wir uns noch zu ihr bekennen“: aber die Präpositionen der deutschen Sprache sind, wie es scheint, nur noch da, um jede gerade so anzuwenden, dass die Anwendung überrascht. S. 358 z.B. verwechselt der „Klassiker“, um uns diese Ueberraschung zu machen, die Wendungen: „ein Buch handelt von etwas“ und: „es handelt sich um etwas“, und nun müssen wir einen Satz anhören, wie diesen: „dabei wird es unbestimmt bleiben, ob es sich von äusserem oder innerem Heldenthum, von Kämpfen auf offenem Felde oder in den Tiefen der Menschenbrust handelt.“ — (S. 343): „für unsere nervös überreizte Zeit, die namentlich in ihren musikalischen Neigungen diese Krankheit zu Tage legt.“ Schmähliche Verwechselung von „zu Tage liegen“ und „an den Tag legen“. Solche Sprachverbesserer sollten doch ohne Unterschied der Person gezüchtigt werden wie die Schuljungen. — (S. 70): „wir sehen hier einen der Gedankengänge, wodurch sich die Jünger zur Produktion der Vorstellung der Wiederbelebung ihres getödteten Meisters emporgearbeitet haben.“ Welches Bild! Eine wahre Essenkehrer-Phantasie! Man arbeitet sich durch einen Gang zu einer Produktion empor! — Wenn S. 72 dieser grosse Held in Worten, Strauss, die Geschichte von der Auferstehung Jesu als „welthistorischen Humbug“ bezeichnet, so wollen wir hier, unter dem Gesichtspunkte des Grammatikers, ihn nur fragen, wen er eigentlich bezichtigt, diesen „welthistorischen Humbug,“ das heisst einen auf Betrug Anderer und auf persönlichen Gewinn abzielenden Schwindel auf dem Gewissen zu haben. Wer schwindelt, wer betrügt? Denn einen „Humbug“ vermögen wir uns gar nicht ohne ein Subject vorzustellen, das seinen Vortheil dabei sucht. Da uns auf diese Frage Strauss gar keine Antwort geben kann, — falls er sich scheuen sollte, seinen Gott, das heisst den aus nobler Passion irrenden Gott als diesen Schwindler zu prostituiren — so bleiben wir zunächst dabei, den Ausdruck für ebenso ungereimt als geschmacklos zu halten. — Auf derselben Seite heisst es: „seine Lehren würden wie einzelne Blätter im Winde verweht und zerstreut worden sein, wären diese Blätter nicht von dem Wahnglauben an seine Auferstehung als von einem derben handfesten Einband zusammengefasst und dadurch erhalten worden.“ Wer von Blättern im Winde redet, führt die Phantasie des Lesers irre, sofern er nachher darunter Papierblätter versteht, die durch Buchbinderarbeit zusammengefasst werden können. Der sorgsame Schriftsteller wird nichts mehr scheuen, als bei einem Bilde den Leser zweifelhaft zu lassen oder irre zu führen: denn das Bild soll etwas deutlicher machen; wenn aber das Bild selbst undeutlich ausgedrückt ist und irre führt, so macht es die Sache dunkler, als sie ohne Bild war. Aber freilich sorgsam ist unser „Klassiker“ nicht: er redet muthig von der „Hand unserer Quellen“ (S. 76), von dem „Mangel jeder Handhabe in den Quellen“ (S. 77) und von der „Hand eines Bedürfnisses“ (S. 215). — (S. 73): „Der Glaube an seine Auferstehung kommt auf Rechnung Jesu selbst.“ Wer sich so gemein merkantilisch bei so wenig gemeinen Dingen auszudrücken liebt, giebt zu verstehen, dass er sein Lebelang recht schlechte Bücher gelesen hat. Von schlechter Lektüre zeugt der Straussische Stil überall. Vielleicht hat er zuviel die Schriften seiner theologischen Gegner gelesen. Woher aber lernt man es, den alten Juden- und Christengott mit so kleinbürgerlichen Bildern zu behelligen, wie sie Strauss zum Beispiel S. 105 zum Besten giebt, wo eben jenem „alten Juden- und Christengott der Stuhl unter dem Leibe weggezogen wird“ oder S. 105, wo „an den alten persönlichen Gott gleichsam die Wohnungsnoth herantritt,“ oder S. 115, wo ebenderselbe in ein „Ausdingstübchen“ versetzt wird, „worin er übrigens noch anständig untergebracht und beschäftigt werden soll.“ — (S. 111): „mit dem erhörlichen Gebet ist abermals ein wesentliches Attribut des persönlichen Gottes dahingefallen.“ Denkt doch erst, ihr Tintenklexer, ehe ihr klext! Ich sollte meinen, die Tinte müsste erröthen, wenn mit ihr etwas über ein Gebet, das ein „Attribut“ sein soll, noch dazu ein „dahingefallenes Attribut“, hingeschmiert wird. — Aber was steht auf S. 134! „Manches von den Wunschattributen, die der Mensch früherer Zeiten seinen Göttern beilegte — ich will nur das Vermögen schnellster Raumdurchmessung als Beispiel anführen — hat er jetzt, in Folge rationeller Naturbeherrschung, selbst an sich genommen.“ Wer wickelt uns diesen Knäuel auf! Gut, der Mensch früherer Zeiten legt den Göttern Attribute bei; „Wunschattribute“ ist bereits recht bedenklich! Strauss meint ungefähr, der Mensch habe angenommen, dass die Götter alles das, was er zu haben wünscht, aber nicht hat, wirklich besitzen, und so hat ein Gott Attribute, die den Wünschen der Menschen entsprechen, also ungefähr „Wunschattribute“. Aber nun nimmt, nach Straussens Belehrung, der Mensch manches von diesen „Wunschattributen“ an sich — ein dunkler Vorgang, ebenso dunkel wie der auf S. 135 geschilderte: „der Wunsch muss hinzutreten, dieser Abhängigkeit auf dem kürzesten Wege eine für den Menschen vortheilhafte Wendung zu geben.“ Abhängigkeit — Wendung — kürzester Weg, ein Wunsch, der hinzutritt — wehe jedem, der einen solchen Vorgang wirklich sehen wollte! Es ist eine Scene aus dem Bilderbuch für Blinde. Man muss tasten. — Ein neues Beispiel (S. 222): „Die aufsteigende und mit ihrem Aufsteigen selbst über den einzelnen Niedergang übergreifende Richtung dieser Bewegung,“ ein noch stärkeres (S. 120): „Die letzte Kantische Wendung sah sich, wie wir fanden, um ans Ziel zu kommen, genöthigt, ihren Weg eine Strecke weit über das Feld eines zukünftigen Lebens zu nehmen.“ Wer kein Maulthier ist, findet in diesen Nebeln keinen Weg. Wendungen, die sich genöthigt sehen! Ueber den Niedergang übergreifende Richtungen! Wendungen, die auf dem kürzesten Wege vortheilhaft sind, Wendungen, die ihren Weg eine Strecke weit über ein Feld nehmen! Ueber welches Feld? Ueber das Feld des zukünftigen Lebens! Zum Teufel alle Topographie! Lichter! Lichter! Wo ist der Faden der Ariadne in diesem Labyrinthe! Nein, so darf Niemand sich erlauben zu schreiben, und wenn es der berühmteste Prosaschreiber wäre, noch weniger aber ein Mensch, mit „vollkommen ausgewachsener religiöser und sittlicher Anlage“ (S. 50). Ich meine, ein älterer Mann müsste doch wissen, dass die Sprache ein von den Vorfahren überkommenes und den Nachkommen zu hinterlassendes Erbstück ist, vor dem man Ehrfurcht haben soll als vor etwas Heiligem und Unschätzbarem und Unverletzlichem. Sind eure Ohren stumpf geworden, nun so fragt, schlagt Wörterbücher nach, gebraucht gute Grammatiken, aber wagt es nicht, so in den Tag hinein fortzusündigen! Strauss sagt zum Beispiel (S. 136): „ein Wahn, den sich und der Menschheit abzuthun, das Bestreben jedes zur Einsicht Gekommenen sein müsste.“ Diese Construction ist falsch, und wenn das ausgewachsene Ohr des Scriblers dies nicht merkt, so will ich es ihm in’s Ohr schreien: man „thut entweder etwas von Jemandem ab“ oder „man thut Jemanden einer Sache ab“; Strauss hätte also sagen müssen: „ein Wahn, dessen sich und die Menschheit abzuthun“ oder „den von sich und der Menschheit abzuthun“. Was er aber geschrieben hat, ist Lumpen-Jargon. Wie muss es uns nun vorkommen, wenn ein solches stilistisches Pachyderma gar noch in neu gebildeten oder umgeformten alten Worten sich umherwälzt, wenn es von dem „einebnenden Sinne der Socialdemokratie“ (S. 279) redet, als ob es Sebastian Frank wäre, oder wenn es eine Wendung des Hans Sachs nachmacht (S. 259): „die Völker sind die gottgewollten, das heisst die naturgemässen Formen, in denen die Menschheit sich zum Dasein bringt, von denen kein Verständiger absehen, kein Braver sich abziehen darf“. — (S. 252): „Nach einem Gesetze besondert sich die menschliche Gattung in Racen“; (S. 282): „Widerstand zu befahren“. Strauss merkt nicht, warum so ein alterthümliches Läppchen mitten in der modernen Fadenscheinigkeit seines Ausdrucks so auffällt. Jedermann nämlich merkt solchen Wendungen und solchen Läppchen an, dass sie gestohlen sind. Aber hier und da ist unser Flickschneider auch schöpferisch und macht sich ein neues Wort zurecht: S. 221 redet er von einem „sich entwickelnden aus- und emporringenden Leben“: aber „ausringen“ wird entweder von der Wäscherin gesagt oder vom Helden, der den Kampf vollendet hat und stirbt; „ausringen“ im Sinne von „sich entwickeln“ ist Straussendeutsch, ebenso wie (S. 223): „alle Stufen und Stadien der Ein- und Auswickelung“ Wickelkinderdeutsch! — (S. 252): „in Anschliessung“ für „im Anschluss“. — (S. 137): „im täglichen Treiben des mittelalterlichen Christen kam das religiöse Element viel häufiger und ununterbrochener zur Ansprache.“ „Viel ununterbrochener“, ein musterhafter Comparativ, wenn nämlich Strauss ein prosaischer Musterschreiber ist: freilich gebraucht er auch das unmögliche „vollkommener“ (S. 223 und 214). Aber „zur Ansprache kommen!“ Woher in aller Welt stammt dies, Sie verwegener Sprachkünstler? denn hier vermag ich mir gar nicht zu helfen, keine Analogie fällt mir ein, die Gebrüder Grimm bleiben, auf diese Art von „Ansprache“ angesprochen, stumm wie das Grab. Sie meinen doch wohl nur dies: „das religiöse Element spricht sich häufiger aus“, das heisst, Sie verwechseln wieder einmal aus haarsträubender Ignoranz die Präpositionen; aussprechen mit ansprechen zu verwechseln, trägt den Stempel der Gemeinheit an sich, wenn es Sie gleich nicht ansprechen sollte, dass ich das öffentlich ausspreche. — (S. 220): „weil ich hinter seiner subjectiven Bedeutung noch eine objective von unendlicher Tragweite anklingen hörte.“ Es steht, wie gesagt, schlecht oder seltsam mit Ihrem Gehör: Sie hören „Bedeutungen anklingen“, und gar „hinter“ anderen Bedeutungen anklingen, und solche gehörte Bedeutungen sollen „von unendlicher Tragweite“ sein! Das ist entweder Unsinn oder ein fachmännisches Kanonier-Gleichniss. — (S. 183): „die äusseren Umrisse der Theorie sind hiermit bereits gegeben; auch von den Springfedern, welche die Bewegung innerhalb derselben bestimmen, bereits etliche eingesetzt.“ Das ist wiederum entweder Unsinn oder ein fachmännisches, uns unzugängliches Posamentirer-Gleichniss. Was wäre aber eine Matratze, die aus Umrissen und eingesetzten Springfedern bestände, werth? Und was sind das für Springfedern, welche die Bewegung innerhalb der Matratze bestimmen! Wir zweifeln an der Straussischen Theorie, wenn er sie uns in der Gestalt vorlegt, und würden von ihr sagen müssen, was Strauss selbst so schön sagt (S. 175): „es fehlen ihr zur rechten Lebensfähigkeit noch wesentliche Mittelglieder.“ Also heran mit den Mittelgliedern! Umrisse und Springfedern sind da, Haut und Muskeln sind präparirt; so lange man freilich nur diese hat, fehlt noch viel zur rechten Lebensfähigkeit oder, um uns „unvorgreiflicher“ mit Strauss auszudrücken: „wenn man zwei so werthverschiedene Gebilde mit Nichtbeachtung der Zwischenstufen und Mittelzustände unmittelbar an einander stösst“. — (S. 5): „Aber man kann ohne Stellung sein und doch nicht am Boden liegen.“ Wir verstehen Sie wohl, Sie leicht geschürzter Magister! Denn wer nicht steht und auch nicht liegt, der fliegt, schwebt vielleicht, gaukelt oder flattert. Lag es Ihnen aber daran, etwas Anderes als Ihre Flatterhaftigkeit auszudrücken, wie der Zusammenhang fast errathen lässt, so würde ich an Ihrer Stelle ein anderes Gleichniss gewählt haben; das drückt dann auch etwas Anderes aus. — (S. 5): „die notorisch dürr gewordenen Zweige des alten Baumes“; welcher notorisch dürr gewordene Stil! — (S. 6): „der könne auch einem unfehlbaren Papste, als von jenem Bedürfniss gefordert, seine Anerkennung nicht versagen.“ Man soll den Dativ um keinen Preis mit dem Accusativ verwechseln: das giebt sonst bei Knaben einen Schnitzer, bei prosaischen Musterschreibern ein Verbrechen. — (S. 8) finden wir „Neubildung einer neuen Organisirung der idealen Elemente im Völkerleben.“ Nehmen wir an, dass ein solcher tautologischer Unsinn sich wirklich einmal aus dem Tintenfass auf das Papier geschlichen hat, muss man ihn dann auch drucken lassen? Ist es erlaubt, so etwas bei der Correctur nicht zu sehen? Bei der Correctur von sechs Auflagen! Beiläufig zu S. 9: wenn man einmal Schiller’sche Worte citirt, dann etwas genauer und nicht nur so beinahe! Das gebietet der schuldige Respect. Also muss es heissen: „ohne Jemandes Abgunst zu fürchten.“ — (S. 16): „denn da wird sie alsbald zum Riegel, zur hemmenden Mauer, gegen die sich nun der ganze Andrang der fortschreitenden Vernunft, alle Mauerbrecher der Kritik, mit leidenschaftlichem Widerwillen richten.“ Hier sollen wir uns etwas denken, das erst zum Riegel, dann zur Mauer wird, wogegen endlich „sich Mauerbrecher mit leidenschaftlichem Widerwillen“ oder gar ein „Andrang“ mit leidenschaftlichem Widerwillen richtet. Herr, reden Sie doch wie ein Mensch aus dieser Welt! Mauerbrecher werden von Jemandem gerichtet und richten sich nicht selbst, und nur der, welcher sie richtet, nicht der Mauerbrecher selbst, kann leidenschaftlichen Widerwillen haben, obwohl selten einmal Jemand gerade gegen eine Mauer einen solchen Widerwillen haben wird, wie Sie uns vorreden. — (S. 266): „weswegen derlei Redensarten auch jederzeit den beliebten Tummelplatz demokratischer Plattheiten gebildet haben.“ Unklar gedacht! Redensarten können keinen Tummelplatz bilden! sondern sich nur selbst auf einem solchen tummeln. Strauss wollte vielleicht sagen: „weshalb derlei Gesichtspunkte auch jederzeit den beliebten Tummelplatz demokratischer Redensarten und Plattheiten gebildet haben.“ — (S. 320): „das Innere eines zart- und reichbesaiteten Dichtergemüths, dem bei seiner weitausgreifenden Thätigkeit auf den Gebieten der Poesie und Naturforschung, der Geselligkeit und Staatsgeschäfte, die Rückkehr zu dem milden Herdfeuer einer edlen Liebe stetiges Bedürfniss blieb.“ Ich bemühe mich, ein Gemüth zu imaginiren, das harfenartig mit Saiten bezogen ist, und welches sodann eine „weitausgreifende Thätigkeit“ hat, das heisst ein galoppirendes Gemüth, welches wie ein Rappe weitausgreift, und das endlich wieder zum stillen Herdfeuer zurückkehrt. Habe ich nicht Recht, wenn ich diese galoppirende und zum Herdfeuer zurückkehrende, überhaupt auch mit Politik sich abgebende Gemüthsharfe recht originell finde, so wenig originell, so abgebraucht, ja so unerlaubt „das zartbesaitete Dichtergemüth“ selbst ist? An solchen geistreichen Neubildungen des Gemeinen oder Absurden erkennt man den „klassischen Prosaschreiber.“ — (S. 74): „wenn wir die Augen aufthun, und den Erfund dieses Augenaufthuns uns ehrlich eingestehen wollten.“ In dieser prächtigen und feierlich nichtssagenden Wendung imponirt nichts mehr als die Zusammenstellung des „Erfundes“ mit dem Worte „ehrlich“: wer etwas findet und nicht herausgiebt, den „Erfund“ nicht eingesteht, ist unehrlich. Strauss thut das Gegentheil und hält es für nöthig, dies öffentlich zu loben und zu bekennen. Aber wer hat ihn denn getadelt? fragte ein Spartaner. — (S. 43): „nur in einem Glaubensartikel zog er die Fäden kräftiger an, der allerdings auch der Mittelpunkt der christlichen Dogmatik ist.“ Es bleibt dunkel, was er eigentlich gemacht hat: wann zieht man denn Fäden an? Sollten diese Fäden vielleicht Zügel und der kräftiger Anziehende ein Kutscher gewesen sein? Nur mit dieser Correctur verstehe ich das Gleichniss. — (S. 226): „In den Pelzröcken liegt eine richtigere Ahnung.“ Unzweifelhaft! So weit war „der vom Uraffen abgezweigte Urmensch noch lange nicht“ (p. 226), zu wissen, dass er es einmal bis zur Straussischen Theorie bringen werde. Aber jetzt wissen wir es „dahin wird und muss es gehen, wo die Fähnlein lustig im Winde flattern. Ja lustig und zwar im Sinne der reinsten, erhabensten Geistesfreude“ (p. 176). Strauss ist so kindlich über seine Theorie vergnügt, dass sogar die „Fähnlein“ lustig werden, sonderbarer Weise sogar lustig „im Sinne der reinsten und erhabensten Geistesfreude“. Und nun wird es auch immer lustiger! Plötzlich sehen wir „drei Meister, davon jeder folgende sich auf des Vorgängers Schultern stellt“ (S. 361), ein rechtes Kunstreiterstückchen, das uns Haydn, Mozart und Beethoven zum Besten geben; wir sehen Beethoven wie ein Pferd (S. 356) „über den Strang schlagen“; eine „frisch beschlagene Strasse“ (S. 367) präsentirt sich uns, (während wir bisher nur von frisch beschlagenen Pferden wussten), ebenfalls „ein üppiges Mistbeet für den Raubmord“ (S. 287); trotz diesen so ersichtlichen Wundern wird „das Wunder in Abgang decretirt“ (S. 176). Plötzlich erscheinen die Kometen (S. 164); aber Strauss beruhigt uns: „bei dem lockeren Völkchen der Kometen kann von Bewohnern nicht die Rede sein“: wahre Trostworte, da man sonst bei einem lockeren Völkchen, auch in Hinsicht auf Bewohner, nichts verschwören sollte. Inzwischen ein neues Schauspiel: Strauss selber „rankt sich“ an einem „Nationalgefühl zum Menschheitsgefühle empor“ (S. 258), während ein Anderer „zu immer roherer Demokratie heruntergleitet“ (S. 264). Herunter! Ja nicht hinunter! gebietet unser Sprachmeister, der (S. 269) recht nachdrücklich falsch sagt, „in den organischen Bau gehört ein tüchtiger Adel herein“. In einer höheren Sphäre bewegen sich, unfassbar hoch über uns, bedenkliche Phänomene, zum Beispiel „das Aufgeben der spiritualistischen Herausnahme der Menschen aus der Natur“ (S. 201), oder (S. 210) „die Widerlegung des Sprödethuns“; ein gefährliches Schauspiel auf S. 241, wo „der Kampf um’s Dasein im Thierreich sattsam losgelassen wird“. — S. 359 „springt“ sogar wunderbarer Weise „eine menschliche Stimme der Instrumentalmusik bei“, aber eine Thür wird aufgemacht, durch welche das Wunder (S. 177) „auf Nimmerwiederkehr hinausgeworfen wird“ — S. 123 „sieht der Augenschein im Tode den ganzen Menschen, wie er war, zu Grunde gehen“; noch nie bis auf den Sprachbändiger Strauss hat der „Augenschein gesehen“: nun haben wir es in seinem Sprach-Guckkasten erlebt und wollen ihn preisen. Auch das haben wir von ihm zuerst gelernt, was es heisst: „unser Gefühl für das All reagirt, wenn es verletzt wird, religiös“, und erinnern uns der dazu gehörigen Procedur. Wir wissen bereits, welcher Reiz darin liegt (S. 280), „erhabene Gestalten wenigstens bis zum Knie in Sicht zu bekommen“ und schätzen uns darum glücklich, den „klassischen Prosaschreiber“, zwar mit dieser Beschränkung der Aussicht, aber doch immerhin wahrgenommen zu haben. Ehrlich gesagt: was wir gesehen haben, waren thönerne Beine, und was wie gesunde Fleischfarbe erschien, war nur aufgemalte Tünche. Freilich wird die Philister-Kultur in Deutschland entrüstet sein, wenn man von bemalten Götzenbildern spricht, wo sie einen lebendigen Gott sieht. Wer es aber wagt, ihre Bilder umzuwerfen, der wird sich schwerlich scheuen, ihr, aller Entrüstung zum Trotz, in’s Gesicht zu sagen, dass sie selbst verlernt habe, zwischen lebendig und todt, ächt und unächt, original und nachgemacht, Gott und Götze zu unterscheiden, und dass ihr der gesunde, männliche Instinkt für das Wirkliche und Rechte verloren gegangen sei. Sie selbst verdient den Untergang: und jetzt bereits sinken die Zeichen ihrer Herrschaft, jetzt bereits fällt ihr Purpur; wenn aber der Purpur fällt, muss auch der Herzog nach. —
Damit habe ich mein Bekenntniss abgelegt. Es ist das Bekenntniss eines Einzelnen; und was vermöchte so ein Einzelner gegen alle Welt, selbst wenn seine Stimme überall gehört würde! Sein Urtheil würde doch nur, um Euch zu guterletzt mit einer ächten und kostbaren Straussenfeder zu schmücken, „von eben so viel subjectiver Wahrheit als ohne jede objective Beweiskraft sein“ — nicht wahr, meine Guten? Seid deshalb immerhin getrosten Muthes! Einstweilen wenigstens wird es bei Eurem „von eben so viel — als ohne“ sein Bewenden haben. Einstweilen! So lange nämlich das noch als unzeitgemäss gilt, was immer an der Zeit war und jetzt mehr als je an der Zeit ist und Noth thut — die Wahrheit zu sagen. —