<Sils-Maria, 20./21. August 1881>

Theurer Freund, zwischen uns steht es gut; und was die Wirkung meines Buchs betrifft, so sage ich, im Scherz und Ernst, „es gehört zu den stärksten geistigen Getränken“, wenigstens nach der Wirkung zu urtheilen, die ich selber davon verspüre, wenn ich mich einmal müde und muthlos fühle. Zuletzt: es ist ein Anfang meiner Anfänge — was liegt noch vor mir! auf mir! Irgendwann werde ich genöthigt sein, auf ein Paar Jahre von der Welt förmlich zu verschwinden — um alle meine Vergangenheit und menschlichen Beziehungen, und Gegenwart, Freunde, Verwandte, Alles, Alles mir aus dem Sinn zu schlagen. Da wird es gelten tapfer zu sein, und auch Du, mein geliebter Freund, wirst Deine alte große Treue, Deine Tapferkeit in der Treue zu mir, noch auf einer höchsten Probe bewahren müssen! Ich bin auf die Dauer ein lästiger Kamerad, nicht wahr? Nun, Freund Romundt denkt anders, dem wenigstens habe ich keine Lasten aufgelegt — er schreibt frisch und munter, daß er „die Lehre Kants von Gott — Seele — Freiheit — und Unsterblichkeit wieder aufbaue“. Das hat mich wirklich erheitert! Es scheint doch, daß ich noch keine „schädliche und unmoralische“ Wirkung ausgeübt habe (vielmehr — gar keine Wirkung!) — Seien wir guter Dinge! Sind wir doch die Freien, und nicht die „Kinder der Magd!“ — Nun kommen Bitten über Bitten! Verzeihung! — Das nächste Mal möchte ich das Geld selber empfangen; ich reise den 27 September von hier fort, ist es möglich, es bis dahin zu erhalten? Wann kehrst Du nach Basel zurück? Nach Genua es zu senden hat die Schwierigkeit, daß es mir dort an Ausweise-Papier fehlt (ich habe keinen Paß, brauche ihn auch sonst nicht.)

Schmeitzner soll fürderhin meine Ersparnisse nicht mehr empfangen, es giebt Gründe, ein wenig auf der Hut zu sein, er ist wagehalsig und thut manches, ohne erst um Erlaubniß zu fragen. Nun, lieber Freund, möchte ich sehr gern, daß alles noch von der Basler Pension zu Ersparende von Dir angesammelt würde, und Zinsen zu Zinsen, so daß ich nach Ablauf der 6 Jahre, noch eine gute Zeit davon leben kann (sage mir: wann ist der letzte Zahlungstermin dieser 6 Pensionsjahre?) Ich bin auf der „Höhe“ des Lebens d.h. meiner Aufgaben, die das Leben mir allmählich gestellt hat, und muß, wo irgend möglich, diese nächsten vier Jahre ohne alle und jede äußere Störung eben diesen Aufgaben weihen, und an gar nichts Anderes mehr denken, hilf mir dabei, Treuester der Treuen!

Nein, Littré’s Buch werde ich gewiß nicht lesen, und ebenso wenig komme ich zu Keller’s „grünem Heinrich“: meine Augen erlauben mir solche „Luxusausgaben der Sehkraft“ nicht mehr. Im Vertrauen gesagt: das Wenige, was ich mit den Augen arbeiten kann, gehört jetzt fast ausschließlich physiologischen und medizinischen Studien (ich bin so schlecht unterrichtet! — und muß so Vieles wirklich wissen!) Bitte, sende den zweiten Band vom „grünen Heinrich“ an unsern „grünen Heinrich“ in Venedig, der jetzt eben mit seiner herrlichen Partitur — Filigran-Arbeit auch als solche — fertig geworden ist. — Ich habe mit dem Erfinder der Schreibmaschine Hr. Malling-Hansen in Kopenhagen, Briefe gewechselt — ein solches Instrument, bei dem die Augen nach einer Woche Übung gar nicht mehr thätig zu sein brauchen, wäre unschätzbar für mich, aber es ist nichts für mich „Armen-Mann“ — mit Kasten und „zur Versendung bereit verpackt“, also noch ohne Transport kostet es 375 R.Mark. Es wiegt 6 Pfund und ist 8 Zoll lang. Eine Schriftprobe lege ich bei.


Ich möchte ein paar Bücher durch Dich vom Buchhändler:

1. O. Liebmann, Analysis der Wirklichkeit.

2. O. Caspari, die Thomson’sche Hypothese (Stuttgart 1874 Horster.)

3. A. Fick, „Ursache und Wirkung“.

4. J. G. Vogt, die Kraft. Leipzig, Haupt & Tischler 1878.

5. O. Liebmann, Kant und die Epigonen.


Sodann hätte ich eins von meinen Büchern aus den Züricher Kisten sehr nöthig: Spir, Denken und Wirklichkeit — es ist uneingebunden, befindet sich also in der Kiste der Uneingebundenen und besteht aus 2 Bänden.

Giebt es auf der Zürcher Lesegesellschaft (oder Bibliothek) die „philosophischen Monatshefte“? Ich brauche davon Band 9 Jahrgang 1873 und ebenso Jahrgang 1875. Dann Zeitschrift Kosmos, Band 1.

Giebt es von Dubois-Reymond’s Reden eine Gesamtausgabe?

Endlich, endlich! Auch in die Apotheke möchte ich Dich schicken, es handelt sich um Vervollständigung meiner Privatapotheke. Ich bitte um

1. ferrum phosphoricum

2. phosphorsaures Kali

3. natrum sulfuricum

4. natrum muriaticum

von jedem 10 Gramm in Pulverform. Sehr gut verpackt. Sei mir nicht böse und nimm Dir Zeit zu Allem, mache es so gelegentlich wie möglich ab. Ich bin wegen meiner zudringlichen Bitten schon Deiner verehrten Schwiegermutter so beschwerlich geworden, und möchte doch bei ihr und bei Dir und bei Deiner lieben Frau und bei allen Deinen werthen Verwandten in Zürich in recht gutem Andenken bleiben!

F.N.